Oerlikon-Konzern am Ende?

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10.02.2009 Läutet Viktor Vekselberg die Totenglocke von Oerlikon? - Artikel aus "work" der Gewerkschaftszeitung der Schweizer Gewerkschaft unia

Läutet Viktor Vekselberg die Totenglocke von Oerlikon

Zuerst wurde er mies geführt. Dann von den Erbenfamilien zerstückelt. Später nehmen ihn die Finanzhaie aus. Jetzt ist der Oerlikon-Konzern im Würgegriff der Banken. Von Oliver Fahrni - 5.02.2009

1000 Arbeitsplätze im vergangenen August. Nochmals 1000 jetzt. Unter dem Strich hat der Oerlikon-Konzern in zwölf Monaten 2500 Jobs zerstört. "Und das ist erst der Anfang", sagt der Gewerkschafter Peter M., der anonym bleiben will: "Sie nehmen uns Stück um Stück auseinander."

Vom einstigen Riesenindustriekonzern Oerlikon-Bührle, der Antriebssysteme, Kanonen, Pumpen, Werkzeugmaschinen, Dünnbeschichtungen, Raumfahrtteile, Textilmaschinen, Schiffs- und Eisenbahngetriebe, Flugzeuge, Ultravakuumtechnologie, Schuhe und vieles mehr herstellte, ist immer weniger übrig. Und ob OC Oerlikon mit seinen noch 19000 Beschäftigten das Jahr überlebt, ist ungewiss.

DAS SAURER-DESASTER

Sichtbar ist: Der Hauptaktionär, der russische Oligarch Viktor Vekselberg, strippt den Konzern mit Notverkäufen. Dieser Tage verscherbelte er die Oerlikon- Tochter Esec in Cham, Weltmarkführerin für Chipmaschinen, an die niederländische BR Semiconductor (BESI). Bevor die Holländer im April übernehmen, muss Oerlikon noch über hundert Beschäftigte feuern. Zuvor hatten die Zürcher Manager schon kleinere Bereiche (Blue Ray, Optics, Festplatten) verkauft. Die Ätzerei (Wafer und Photomasken) wurde vom US-Management übernommen.

Und selbst der Saurer-Konzern (Textilmaschinen), von Oerlikon erst vor zweieinhalb Jahren für 2 Milliarden Franken jubelnd übernommen ("strategischer Sprung"), steht inoffiziell schon wieder zum Verkauf.

SEIT JAHREN KAPUTTSANIERT

Für die schlimme Lage macht das Management die globale Wirtschaftskrise verantwortlich. Tatsächlich brechen Oerlikon die Umsätze auf breiter Front weg. Der Verkauf von Textilmaschinen etwa stürzte im dritten Quartal 2008 um 60 Prozent ab. Oerlikon ist tief in den roten Zahlen. Aber das ist nur die halbe Wahrheit: Schlimmer wirken sich heute die langen Jahre von Missmanagement und vor allem die hohe Verschuldung des Konzerns aus.

Unia-Gewerkschafter Peter M., ein Ingenieur, arbeitet (noch) bei der Oerlikon-Tochter Esec. Dort werden hochtechnologische Maschinen vom Feinsten gebaut, die von den grössten Elektronikkonzernen der Welt bei der Halbleiterproduktion eingesetzt werden. Weltmarktanteil: 30 Prozent. Vor zwei Monaten wurde eine dieser Maschinen ("Die Bonder 2100 xP"), eine bahnbrechende Neuentwicklung, als innovativstes Schweizer Produkt des Jahres ausgezeichnet.

Eigentlich eine hervorragende Ausgangslage. Doch Esec wird seit Jahren kaputtsaniert. Ende 2004 beschloss das frühere Management, die Produktion nach Singapur zu verlegen. Absurd. Der Arbeitskampf der Esec-Belegschaft, anonym per Internet geführt und von der Unia unterstützt, rettete 270 der über 500 Arbeitsplätze.

Als die Belegschaft und die Unia gemeinsam ein alternatives Industriekonzept gegen die Auslagerung vorlegten, hatte sich herausgestellt, dass die Konzernmanager keine Ahnung von den Möglichkeiten des Maschinenbauers hatten.

Doch kurz darauf kaperten die Finanzhaie des österreichischen Private- Equity-Fonds Victory den Oerlikon- Konzern. Ihnen war Esec immer ein Dorn im Auge: Die Chipmaschinen warfen nicht die erwarteten 20 Prozent Reingewinn ab.

EIN FRESSEN FÜR SPEKULANTEN

Schnelles Geld aber musste sein. Victory-Eigner Ronny Pecik und Georg Stumpf begannen mit Oerlikon einen Raubzug auf die Schweizer Industrie. Im Visier: Saurer. Ascom. Sulzer. Und wie immer rafften sie auf Kredit. Die Zürcher Kantonalbank (ZKB), die Citibank und viele weitere Banken halfen ihnen dabei.

Der Trick geht so: Victory kauft sich ein Aktienpaket. Und wechselt das Management des gekaperten Konzerns aus. Dann zieht man die Substanz aus dem Unternehmen. Zum Beispiel, indem man sehr viele Optionen auf die Aktien ausgibt. Der Preis für eine Oerlikon-Aktie etwa schnellte auf 800 Franken rauf. Nun wird Kasse gemacht. Heute ist die Aktie noch jämmerliche 40 Franken wert.

Die Übernahme von Saurer bereiteten der Hedge-Funds Laxey (der auch Swissmetal geplündert und den Baukonzern Implenia angegriffen hat) und der Blocher-Freund Martin Ebner vor. Sie zogen über 150 Millionen aus der Operation. Der Kauf durch Victory und die Integration von Saurer in den Oerlikon-Konzern wurden mit einem 2-Milliarden-Kredit finanziert. Der lastet heute schwer auf Oerlikon. Er könnte den Konzern zerstören. Er ist in der Schuldenfalle: 19 Gläubigerbanken machen Druck. Pecik und Stumpf haben sich sukzessive und mit hohen Gewinnen aus Oerlikon, Sulzer, Ascom zurückgezogen, Viktor Vekselberg hat ihre Aktien übernommen (Pecik hält an Oerlikon noch ein 12-Prozent-Paket).

Ob Vekselberg, der am russischen Öl- und Gasgeschäft mitverdient, Oerlikon halten kann, weiss niemand. Es geht das Gerücht, dass er eine Fusion mit Sulzer, wo er der dominierende Aktionär ist, plane. Möglicherweise mit Sulzer und dem angeschlagenenen Rieter-Konzern.
Vorerst aber muss er die Kreditbanken bedienen. Dafür greift er vielleicht sogar ans Tafelsilber: Banker raunen, Vekselberg erwäge den Verkauf der weltweit erfolgreichen Oerlikon- Tochter Balzers (Beschichtungen). Sie ist, noch vor der Solarsparte, das Prunkstück der Gruppe.

Letzte Änderung: 26.05.2009