Lehrstelle oder Lehrlingsmangel?

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05.08.2010 Wie geht das zusammen? 50.000 nicht besetzte Ausbildungsangebote versus 45.000 noch suchende Bewerber

Hintergrundpapier der IG Metall Pressestelle zum Start ins Ausbildungsjahr 2010

Das ist die Lage

Zu Beginn des neuen Ausbildungsjahres am 1. August schlagen die Arbeitgeber Alarm:
50.000 Ausbildungsplätze können nicht besetzt werden, verkündete der Deutsche Industrie- und Handelskammertag.
Herrscht erstmals seit langer Zeit wieder ein Mangel an Bewerbern und nicht an Ausbildungsplätzen?
Die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit sprechen eine andere Sprache:
Im Juli waren 108.500 Ausbildungsstellen (+9.500 ggü. Vorjahr) noch unbesetzt und 152.600 Bewerber (-13.600) zählten als noch unversorgt.
Rein rechnerisch ist das eine Differenz von rund 45.000 Jugendlichen suchenden Bewerbern gegenüber freien Angeboten.

Ist die Lage wirklich so positiv?

Im Ausbildungsjahr 2009 wurden im September rund 74.000 von der Bundesagentur für Arbeit als "ausbildungsreif" eingestufte Jugendliche in Warteschleifen geparkt, obwohl sie noch einen betrieblichen Ausbildungsplatz suchten. Dies wird in 2010 nicht anders sein, auch in dieser Größenordnung.
Der Nationale Bildungsbericht 2010 von Bundesregierung und Bundesländern bestätigt diese Einschätzung: zwar habe es demografiebedingt einen Rückgang der Nachfrage gegeben, doch könne überhaupt keine Rede davon sein, dass es einen ausgeglichenen Ausbildungsstellenmarkt oder sogar ein auswahlfähiges Ausbildungsplatzangebot gibt.
Das Angebot an Ausbildungsplätzen blieb in 2009 in fast allen Berufen hinter der Nachfrage zurück - trotz drohenden Fachkräftemangels. Noch immer landen Jahr für Jahr fast 400.000 Jugendliche im "Übergangssystem" zwischen Schule und Beruf - ohne Chance auf eine vollqualifizierende Ausbildung.

Während Arbeitgeber und Bundesregierung seit sieben Jahren eine entspannte Lage auf dem Ausbildungsmarkt verkünden, steigt die Zahl der jungen Menschen ohne abgeschlossene Ausbildung. Mehr als 1,5 Millionen Menschen im Alter von 20 bis 29 Jahren haben keinen Berufsabschluss.

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Angesichts solcher Zahlen von einer entspannten Lage auf dem Ausbildungsmarkt zu reden, ist offensichtlich nicht so ganz richtig.
Der sich in der Öffentlichkeit viel diskutierte Fachkräftebedarf und der sich abzeichnende Mangel kann in großem Umfang durchaus mit jungen Menschen angegangen werden, die heute in Deutschland sind und nur darauf warten, eine wirkliche berufliche Chancen zu bekommen. Das Potenzial zur Lösung des Fachkräftebedarfs ist vorhanden, dazu brauchen wir keine Green-Card.

Dennoch gibt es unbesetzte Ausbildungsplätze - Warum?

Es gibt durchaus Mängel bei einigen Bewerbern, das ist so, sagt auch die IG Metall. Das wegdiskutieren zu wollen ist falsch. Unstrittig ist auch, dass viele Schulen besser werden müssen. Schulen können ihre Absolventen qualifizierter ausstatten mit notwendigem Wissen und Kompetenzen für die nachfolgenden Lernprozesse.
Umdenken müssen aber auch die Unternehmen.
Viele Unternehmen wollen bei der Auswahlentscheidung für neue Azubis keine Kompromisse eingehen. Vier von zehn der Industrie-Unternehmen sehen für die Besetzung von Ausbildungsplätzen keine Jugendlichen vor, die besonderen Förderbedarf haben. Noch kompromissloser zeigen sich Banken und Versicherungen: Hier sagen sechs von zehn

Betrieben - no Chance für Jugendliche mit Förderbedarf. Der Weg zu einer neuen, veränderten Einstellpraxis ist offenbar noch weit.
Kluge Betriebe entwickeln eine Doppelstrategie: Einerseits drängen sie in ihrer Region darauf, daß die Schulen besser werden und die Absolventen besser vorbereitet auf den Ausbildungsmarkt kommen. Andererseits stellen die Betriebe sich auch darauf ein, Jugendlichen mit Defiziten mehr individuelle Förderung anzubieten.
Umfragen zeigen, dass deutlich mehr als die Hälfte aller Ausbildungsbetriebe die mangelnde Ausbildungsreife der Schulabgänger erkennen und besondere Unterstützung im Unternehmen (Nachhilfe) organisieren.
Eine Analyse des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) zeigt darüber hinaus, dass viele Betriebe ein schlechtes Marketing bei der Nachwuchssuche haben: Viele Stellen sind erst gar nicht bei der Bundesagentur gemeldet, die Kommunikation über Messen und Annoncen werden nur unzureichend genutzt. Vielfach handele es sich bei den unbesetzten Ausbildungsplätzen auch nur um latent vorhandene Stellen, die nicht aktiv beworben werden, so das BIBB.

Und das ist unser Fazit: Die Widersprüchlichkeit nicht einfach ignorieren

Ja, es stimmt, für die Betriebe wird es nun von Jahr zu Jahr schwieriger, ihre Azubi-Plätze zu besetzen (Demographie); und es stimmt auch, dass es bereits jetzt in einigen Regionen und Berufen massive Besetzungsprobleme gibt.
Dies ist die eine Wirklichkeit. Die andere ist:
Ja, es gibt immer noch viele - viel zu viele - Jugendliche, die 2010 keinen Ausbildungsplatz finden, obwohl sie sich redlich bemühen. Und darunter befinden sich keineswegs nur leistungsschwache Schulabgänger, sondern auch viele Jugendliche, die ausbildungsreif sind und denen das auch von der Arbeitsverwaltung so bescheinigt wurde. Es sind viele Jugendliche mit Migrationshintergrund, aus bildungsschwachen Familien, die schlechte Chancen haben einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Rund 40 Prozent der Jugendlichen mit Migrationshintergrund machen heute keinen berufsqualifizierenden Abschluss.
Es gibt in Deutschland immer noch eine zu hohe Zahl an Schulabgängern, die trotz attestierter Eignung nicht rasch genug in eine Berufsausbildung einmündet.
Es gilt das vorhandene Ausbildungspotenzial rascher und besser als bislang zu nutzen. Das Thema Fachkräftebedarf ist so gut und erfolgversprechend in den Griff zu bekommen.

Letzte Änderung: 05.08.2010